Vorspeise

Vorstadtsalatdressing

Die eine ist längst in aller Länder Vokabeln übersetzt oder füllt unendliche Seiten eiligst neu aufgelegter “Baedeker”, Polyglott und und und.
Sie, die “Spandauerin”, ist der verkörperte Inbegriff der aufgebuddelten Hügelschicht des trojanischen Berlins, immer eine Pilgerreise wert.

Die andere, die “Rosenthalerin”, bettet sich noch im Verborgenen, sinnbildlich auf einem dornigen Rosenbett bei schleichenden Auszehrung. Nur hier und da setzte man bisher zaghaft den Spaten oder das Skalpell an...sezierlich.

Immer wieder erklären die Historiker im weitesten Umkreis Berlins, daß sie für die jüngste Gegenwartsgeschichte ihrer Städte noch keine Zeit hatten. Was sind anderenortens schon dreihundertfünfundfünzig Jahre.
Hier in Berlin muß der Forscher schon mit Forschermut und in Ehrfurcht danach graben. Berlin hat sich großgehungert und ist ins Kraut geschossen, so heißt es.

Als Berlin seine erstes Festungsbauwerk besaß, die Memhardt´sche, auf deren Festungsgräben sich heute die S-Bahn bewegt, da wohnten nach dem 30jährigen Kriege gerade so viele Menschen in Berlin wie heute auf der Fischerinsel und im Nikolaiviertel untergebracht sind, die heute in Neubauten natürlich.
Mit dem Abriß des Fischerkiezes setzte in der DDR die erste und markanterweise flächendeckende Geschichtsbewältigung ein. Die Altstadt wurde pulverisiert.
Dann starb der Alex und seine nähere Umgebung.
Nur die ausgehenden Finanzen verhinderten weiterführende Angriffe in westlicher Richtung auf die Vorstädte, zuallererst auf das Scheunenviertel.
Die beiden Vorstädte gerieten alsbald und für lange Zeit samt ihrer Namen in Vergessenheit.
1870 – 80 war eine weitere Mauer in Berlin in der Torstraße gekippt, die die Rosenthaler Vorstadt vom übrigen Berlin bis dato trennte.
Dabei gingen die Stadtore gleich mit zu Bruch, fast restlos.. Nur bescheidenen Reste des Oranienburger Tores befinden sich heute auf dem Borsig´schen Gut bei Nauen, völlig vergessen. In Berlin verblieb ein schütteres Wandbild, einfach nur plakativ.
Mit der Gründerzeit und dann nach der Jahrhundertwende bis in die zwanziger und dreißiger Jahre explodierte Berlin entgültig, wurden ganze Gemeinden verstädtert, Wege zu Alleen begradigt und nebenbei ordentlich abgerissen oder verschönt, nach Zeitgeschmack.
Lediglich in den beiden Vorstädten blieb die Straßenführung weitestgehend erhalten, inbegriffen so mancher Straßen, die immer noch Gasse genannt werden. Sie haben sich nie zur Straße hochdienen können, und das bei den selbstbewußten Berlinern.
Einige wenige Bauten aus der Zeit der Anlegung des Hackeschen Marktes sind noch zu finden, soweit die Kriege oder der Sozialismus sie verschonte. Sie sind heute der Stolz alter und neuzuzüglicher Vorstädter, Fauspfand einer langen Berliner Geschichte. 1989 kippte wieder eine Mauer.
Die Spandauer und Rosenthaler Vorstadt erfuhren nun ihre begriffliche Wiederbelebung mit dem 3.Oktober 1989, die Kenntnisse der Fachleute einmal außen vor gelassen. Als einer der ersten Väter trug sich ein Mensch namens “Motte” ein: Bewohner der Mulackstraße 25, Scheunenviertel, ab dann ständig auf der Suche nach Franz Biberkopf und seinen Kumpanen sowie rettbarer Substanz. Dem Namen nach gefräßig wie eine Motte am Geschichtsteppich.
Die alten Häuser sollte in seiner Nachbarschaft, verächtlich machend allesamt als “Mulakei” überschrieben, fast komplett geschliffen werden. Das störte ihn heftig.
Ein hart umstrittenes Planwerk mit einlullenden Parolen gab es seit jenem bewußten Tage zu sehen, städtebaulich- berlinisch abgesegnet.
Es war die Absicht, die Zukunft des Viertels vertröstend für das leider leider hier nicht bis 1990 erfüllbare Wohnungsbauprogramm, so ganz nebenbei auch im Widerspruch zu anderslautenden Zeitungsmeldungen stehend, zu beschreiben.
Der Abriss von siebenhundert Wohnungen (wie gesagt: Krieg den Hütten) und der Neuerrichtung von 1200 Neubauwohnungen, Typ Platte, sieben(!)geschossig und ohne Aufzug, bildete die Grundlage dieser Planung.
Derjenige von hier, der sein Außenklo nicht mehr so richtig leiden mochte, empfand diesen Schritt als den größten mathematischen Wertzuwachs von Null auf Eins. Endlich ein Bad und möglicherweise einen Balkon. Mit dem Blick aus dem Beton auf den Beton wollte man sich schon arrangieren. Andere verhinderten erst einmal die inzwischen zweiten Sprengversuche. In der Zeit danach setzten immense Ge-schichtsrecherchen ein. Natürlich über die Spandauer Vorstadt, denn da wohnte unsereins oder wollte es bald tun. Alle guten Kreuzberger Ratschläge und Modelle standen ab sofort bereit. Helfer, Wisser, Besserwisser, vor allem Spekulanten und auch Vorstadtberichterstatter kamen und gingen, die Klinke blieb warm.
Juristisch faßbare Initiativen, Vereine, Genossenschaften, runde Tische und Einwohnerversammlungen ob des Für und Wider bildeten sich.
Am Ende stand schließlich die Spandauer Vorstadt seit 1992 unter Denkmalschutz, wenn auch manchmal nur auf der einen Straßenseite. Und so trug sich die Kunde von der alten Spandauer Vorstadt, dem Tacheles und dem Gegenpol mit den “Hackeschen Höfe” in alle Welt.
Der Rosenthaler Vorstadt ist dieses bisher nicht geglückt.

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